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Theodor Icklers Sprachtagebuch

Die neuesten Kommentare


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Manfred Riemer zu »Konjunktiv«
Dieser Kommentar wurde am 07.12.2025 um 20.38 Uhr verfaßt.

Was sei das Wichtigste, um Afghanistan zu verstehen?
(Weltwoche, 4.12.25, S.69)

Keine wörtliche Rede, eigentlich auch keine Frage, sondern der Journalist erzählt indirekt, was er den Minister gefragt hat.
Abkürzung für:
Ich fragte ihn, was das Wichtigste sei, um Afghanistan zu verstehen.

Ist dieser Stil akzeptabel?


Theodor Ickler zu »Oralprimat«
Dieser Kommentar wurde am 07.12.2025 um 07.51 Uhr verfaßt.

Sueton berichtet über Kaiser Augustus: „Die mildeste Art solcher Verwarnung war die Übergabe eines Blattes, das jeder stillschweigend auf der Stelle lesen mußte.“ Diese Stelle, auf die auch Skinner hinweist (Verbal behavior S. 141), deutet Busch als Beleg dafür, daß normalerweise laut oder halblaut gelesen wurde; die Getadelten seien angewiesen worden, das in diesem Fall zu unterlassen.


Theodor Ickler zu »Nature, Nurture und Skinner«
Dieser Kommentar wurde am 07.12.2025 um 07.30 Uhr verfaßt.

„In Chomsky’s wake, he effectively assails Skinnerian stimulus-response learning-theory...“ (Gilbert Ryle über Zeno Vendler) – Aber Skinner vertritt doch gar keine solche Theorie! Vielmehr kritisiert er sie an seinen Vorgängern, die es sich zu leicht gemacht hätten.


Theodor Ickler zu »Kognitivismus«
Dieser Kommentar wurde am 07.12.2025 um 04.58 Uhr verfaßt.

Unter Denken werden alle (psychologischen) Vorgänge zusammengefasst, die aus einer inneren Beschäftigung mit Vorstellungen, Erinnerungen und Begriffen eine Erkenntnis zu formen versuchen.

So beginnt der Wikipedia-Eintrag „Denken“. Er benutzt die gleichen vorwissenschaftlichen Begriffe, zu denen auch „Denken“ gehört. Darauf beruht seine oberflächliche Plausibilität. Die weitere Untersuchung kann nur in Erklärungen dieses folkpsychologischen Sprachgebrauchs bestehen, d. h. des transgressiven Konstrukts einer im übertragenen Sinne „inneren“ Welt. Mit der Einführung von „Begriffen“, mit denen Personen sich angeblich innerlich beschäftigen, ist die Konzeption einer Sprache des Geistes vorbereitet. Denken wird großenteils als inneres Sprechen verstanden, „Dialog der Seele mit sich selbst“, wie die antike Deutung sagt. Das kann nicht die Grundlage einer modernen, wissenschaftlich anschlußfähigen Psychologie sein.

Der Eintrag „Thought“ in der englischen Wikipedia ist grundsätzlich ebenso orientiert, aber die beiden Artikel lassen sich kaum Punkt für Punkt vergleichen. Jeder bietet, wie es bei der Herkunft solche Begriffe unvermeidbar ist, einen Flickenteppich aus allem, was Menschen zu verschiedenen Zwecken zu verschiedenen Zeiten entwickelt haben, um ihr Verhalten zu koordinieren. Als Illustration dient in beiden Fällen ausgerechnet Rodins „Denker“, ein nackter Muskelmann: „The model for this sculpture, as for other works by Rodin, was the muscular French prizefighter and wrestler Jean Baud, who mostly appeared in the red-light district.“ Rodin hat ihn für das Höllentor entworfen. Schon die Entscheidung für einen Menschen, der sozusagen nichts tut, ist bedenklich. Das Dasitzen in einer bestimmten Pose ist natürlich auch ein Verhalten, wenn auch ein sehr spezielles, theatralisches; und die Entscheidung dafür ist ihrerseits erklärungsbedürftig. Aber damit habe ich mich, obwohl der englische Eintrag immerhin einen Abschnitt zum Behaviorismus enthält, schon so weit vom mentalistischen Mainstream entfernt, daß es keine Verständigung mehr gibt.

(Mein Besuch im Garten des Musée Rodin gehört auch zu den Erinnerungen an eine Zeit, als man an solchen Orten noch fast allein war, wie auf dem Taishan oder bei den Tempeln von Agrigento. Vgl. http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=783#36191)


Theodor Ickler zu »Nature, Nurture und Skinner«
Dieser Kommentar wurde am 06.12.2025 um 04.04 Uhr verfaßt.

Nur die Sprache ermöglicht es, die Aufmerksamkeit auf alles Beliebige zu lenken, ohne Rücksicht auf die vitale Bedeutung. Skinner: Es gibt keine Reaktion des Organismus auf alles Rote – außer eben der sprachlichen Reaktion „rot“. Ein sehr fruchtbarer Gedanke. In fortgeschrittenen Zivilisationen mit organisiertem Bildungswesen studieren wir die Gegenstände in dieser distanzierten Weise, sozusagen auf Vorrat. Ratten explorieren ihre Umgebung ebenfalls auf Vorrat, um gegebenenfalls zu wissen, wo sie einen Ausweg finden usw. Sie akkumulieren und kommunizieren ihre Forschungsergebnisse aber nicht in kultureller Tradition wie wir. (Es gibt die kleine Ausnahme, daß Ratten anscheinend eine Erfahrung mit Giftstoffen an ihre Genossen weitergeben; bzw. daß diese etwas merken und die Stoffe meiden.)


Theodor Ickler zu »Trüber Morgen«
Dieser Kommentar wurde am 06.12.2025 um 03.56 Uhr verfaßt.

Ob das Gehirn eines Gelehrten zehn- oder hundertmal so viel enthält wie das eines Ungebildeten – oder nur zehn Prozent, weil sein Buchwissssen kaum ins Gewicht fällt gegenüber dem, was er in seiner Kindheit gelernt hat? Ist das Auswendiglernen der Ilias eine größere Leistung als das Binden einer Schleife?
Solche Gedanken hat sich wohl jeder schon mal gemacht, vielleicht beim Dahinscheiden einer Person, mit der entweder die Kenntnis der Ilias untergeht oder bloß die Fähigkeit, eine Schleife zu binden.


Theodor Ickler zu »Das „bilaterale Zeichen“«
Dieser Kommentar wurde am 06.12.2025 um 03.36 Uhr verfaßt.

„Ich kann ihn suchen, wenn er nicht da ist, aber ihn nicht hängen, wenn er nicht da ist. Man könnte sagen wollen: ‚Da muß er doch auch dabei sein, wenn ich ihn suche‘. – Dann muß er auch dabei sein, wenn ich ihn nicht finde, und auch, wenn es ihn gar nicht gibt.“ (Ludwig Wittgenstein: Philosophische Untersuchungen § 462)
Suchen und meinen sind nicht nach dem Muster von zielen konstruierbar. Intention ist wahrscheinlich nach dem Modell des Zielens (mit Pfeil und gespanntem Bogen) gebildet, dafür spricht auch die Etymologie. Aber die Bedeutungsklasse ist ganz verschieden; denn wenn ich ziele, muß ein Ziel gegeben sein, nicht aber bei suchen und erst recht nicht bei meinen, das nicht einmal ein Handlungsverb ist („*Meine doch mal etwas anderes!“). (Vgl. http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1584#45567)
Beim Zielen besteht eine reale Beziehung zwischen Pfeil (Gewehrlauf usw., auch schon im Ausholen des Arms beim Werfen) und Ziel, sie sind Teile desselben Bestandssystems; beim Suchen wird lediglich der Gegenstand spezifiziert, der das Suchverhalten zum Abschluß bringen würde (wenn es ihn gäbe, was aber nicht nicht sein muß).


Theodor Ickler zu »Wortmarken«
Dieser Kommentar wurde am 06.12.2025 um 03.27 Uhr verfaßt.

Humpty Dumpty will Football und Soccer umbenennen, wahrscheinlich per Dekret (wie schon den Golf von Mexiko usw.).

Elon Musks KI "Grok" gibt über ihn selbst nur positive Auskunft, lobt ihn noch hymnischer als den großen Humpty Dumpty, was zu weiteren Konflikten führen könnte.


Theodor Ickler zu »Nichts lernen aus Metaphern«
Dieser Kommentar wurde am 05.12.2025 um 16.48 Uhr verfaßt.

"Putins Kronjuwel geht es an den Kragen"

Angeblich eröffnen Metaphern schockartig neue Einsichten, hier also über die ukrainische Kriegführung. Wirklich?


Theodor Ickler zu »Niedriger hängen!«
Dieser Kommentar wurde am 05.12.2025 um 16.44 Uhr verfaßt.

Ich habe noch nie gedacht, daß meine Mitmenschen eine Seele haben. „Mit Leib und Seele“ – das sind Redensarten, aus denen man keine Metaphysik herausinterpretieren sollte. Nicht einmal einen Geist oder mentale Zustände unterstelle ich meinen Mitmenschen. Die Frage stellt sich einfach nicht, wenn ich mit ihnen rede und umgehe. Den meisten dürfte es ebenso gehen, wenn sie nicht philosophisch verbildet sind. Die Behauptung, wir könnten uns nicht mit anderen unterhalten, wenn wir keine Theory of Mind hätten und ihnen eine ebensolche unterstellten, ist meiner Ansicht nach schon deskriptiv falsch. Wir haben von früh an gelernt, mit Personen (es können ansatzweise auch Haustiere sein) anders umzugehen als mit Bauklötzen; dazu braucht es keine Theorie.


Theodor Ickler zu »Die Tyrannei des Vermeintlichen«
Dieser Kommentar wurde am 05.12.2025 um 08.33 Uhr verfaßt.

Auf dem Kasseler Weihnachtsmarkt darf kein Getränk „Lumumba“ (Kakao mit Schuß) mehr verkauft werden, wg. Rassismus. Die Logik der Begründung ist ziemlich verzwickt.


Theodor Ickler zu »Die Tyrannei des Vermeintlichen«
Dieser Kommentar wurde am 05.12.2025 um 08.01 Uhr verfaßt.

Im indischen Rajasthan gibt es eine eher ausbeuterische Tradition, bei der Frauen aus niedrigen Kasten für wohlhabende Männer arbeiten und eine Trauer zum Ausdruck bringen, die für Familienmitglieder aus Standesgründen nicht akzeptabel wäre. (DW)

„Ausbeuterisch“ - na ja, so kann man das Kastensystem und die ganze traditionelle indische Gesellschaft finden, aber innerhalb des Systems hat das Gewerbe der Klageweiber einfach seinen Platz. Viele Inder selbst sehen das heute kritisch. Es gibt auch einen vielbeachteten Film darüber: „Rudaali“, nach einer Erzählung. (Das Wort für Klageweib gehört zu roditi, einem Verb der zweiten Klasse zur Wurzel rud-.)

Die Trauer beim Verlust von Angehörigen war schon immer im Sinne der „Übergangsriten“ sozial geregelt und unterliegt heute der alles erfassenden Psychologisierung. Wie schon erwähnt, rät man in den USA zur Aufsuchung eines Psychotherapeuten, wenn jemand länger als 14 Tage den Tod eines Verwandten betrauert. Früher ging man mindestens ein Jahr in Schwarz. Heute belächeln wir die Einrichtung der bezahlten Klageweiber. Allerdings sind die Trauerredner hierzulande, wie man bemerkt hat, auch nichts anderes.

Nach der Beerdigung eines nahen Verwandten, mit Aussegnung durch einen Pfarrer, sagte jemand, der seinerseits vollkommen ungläubig ist, es sei doch gut, daß es solche förmlichen Rituale gebe. Irgendwie müssen die Toten aus der Welt geleitet werden, während die anderen noch eine Weile bleiben dürfen oder müssen. Daß jemand, den man gekannt und vielleicht geliebt hat, auf einmal nicht mehr da ist, während alles andere gleich bleibt, ist eine so ungeheuerliche Tatsache, daß wir jede Hilfe dankbar annehmen. Gerade in diesem Bereich hat die Menschheit die verschiedensten Bräuche entwickelt, um ihre Hilflosigkeit zu bewältigen.


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